Selbst bei RockTimes macht sich Nicky Hopkins sehr rar. Ganze fünf Links gibt die Suchmaschine her. Dabei hat sie sich wahrlich nicht verschluckt. Nicky Hopkins (* 24.02.1944 in London, † 06.09.1995 in Nashville) ist einer der besten, wenn nicht der beste Sessionmusiker, die es je gab. Julian Dawson, selber Musiker, traf den Pianisten und tatsächlich war deren Song "You're Listening Now" 1994 Hopkins' letzte Session. Damit beginnt im Buch die beeindruckende Lebensgeschichte des Musikers. Dawson erfuhr vom Tod des Tastenmannes zu einem Zeitpunkt, als er selber zwischen Freude und Trauer schwankte. Sein Schwiegervater war verstorben und seine Frau erwartete ihr erstes Kind.
Julian Dawson fasste jedenfalls den Entschluss, eine Biografie über Nicky Hopkins zu schreiben. Zehn Jahre brauchte er für seine Recherchen. Eine lange Zeit, aber Dawson ist ja auch Musiker und sehr viel auf Tour. Schließlich hat er für die erste Biografie ganze Arbeit geleistet und alleine schon aus der ellenlangen sowie beeindruckenden Liste von Musikern, Familienangehörigen, Verwandten, Freunden, Produzenten und Managern, die im Buch zu Wort kommen, wird deutlich, welch ein gefragter und ohne jeden Zweifel begnadeter Musiker Nicky Hopkins war. Keineswegs übertrieben ist Nils Lofgrens Äußerung: »Nicky Hopkins hat die Bibel des Rockpianos geschrieben.«
Die Buchstützen der Biografie sind das Vorwort von Klaus Voomann und Wolfgang Niedeckens Nachwort. Am Ende des Buches befindet sich unter anderem eine Diskografie, differenziert nach LPs sowie Singles. Oh Mann, alleine diese Auflistung liest sich wie das Who's who der Rockmusik sowie -geschichte. Die erste erwähnte Langrille ist "My Generation" (1965) von The Who. Die letzte stammt von Quicksilver Messenger Service. Es ist "Castles In The Sand" (2009). Bei den Singles trifft man unter identischen Gesichtspunkten auf Screaming Lord Sutchs "Jack The Ripper/Don't You Just Know It" (1963) und Paul McCartneys "Beautiful Night/Same Love".
Nicky Hopkins' Kindheit war sehr bewegt, er hatte viele kleinere sowie größere Unfälle und in der Schule war er nicht gerade das, was man auch damals als einen vorbildlichen Schüler bezeichnete. Sein musikalisches Talent entwickelte sich zuhause. Gerade drei Jahre alt, war wohl das Klavier seiner Mutter der größte Magnet und als er sechs Jahre alt war, bekam Hopkins Unterricht. Unter Einbezug von Erinnerungen der Familie wird bereits zu Beginn des Buches ein transparentes Bild des Jungen gezeichnet und Dawson ist es sehr gut gelungen, die Zeit der musikalischen Orientierung überaus plastisch darzustellen. Durch die Anschaulichkeit empfindet sich der Leser ständig in der Rolle des stillen Beobachters, immer hautnah am Geschehen. Bereits zu Beginn der Biografie wird deutlich, dass Dawson keine Gelegenheit ausgelassen und alles unternommen hat, um die Geschichte von allen möglichen Seiten zu beleuchten.
Bei einem so vielbeschäftigten Pianisten macht Dawson bezüglich der strukturellen Gestaltung des Buches genau das Richtige. Er stellt die Kapitel unter bestimmten Gesichtspunkten zusammen und gibt, mit Einbezug aller möglichen Musiker und Menschen, die eng mit dem Musikbusiness verbunden waren/sind, einen großformatigen Einblick in das Schaffen der Hauptperson. So entsteht keine stringente Chronologie, aber bei Bedarf bettet Dawson die folgende Geschichte am Anfang von manchen Kapiteln kurz in ihre historischen Zusammenhänge.
Hopkins spielte in Bands wie Savage, Rebel Rouser ( Cliff Bennetts Band) und All Star. Mit Freunden aus der Nachbarschaft macht das junge Talent ordentlich Lärm und damals schon wurde ihm attestiert, dass er den anderen Künstlern weit voraus war. Wenn jemand sagt: »Verdammt, der Junge kann echt in die Tasten hauen!« dann mag das in gewisser Weise wie ein beliebiges Kompliment klingen. Stammt es allerdings aus dem Mund von Jerry Lee Lewis, sieht die Sache schon ganz anders aus. Das war zu der Zeit, als er der Gruppe Savage (mit Screaming Lord Sutch) den Rücken kehrte und bei Rebel Rouser einstieg. Vorher bekam Hopkins seinen ersten Preis in Form einer Goldmedaille beim Wembley Music and Drama Festival. Er spielte zusammen mit Alan Benson in der Kategorie 'Duo bis zwölf Jahre'. Hopkins hatte sich einen Ruf erspielt und seine ersten beiden Aufnahmen als Sessionmusiker waren mit dem Sänger Neil Christian und "One Way Ticket" von Casey Jones. Als Gitarrist spielte ein gewisser Eric Clapton mit.
Sehr packend beschreibt der Schriftsteller den Umbruch zum Blues und die Zeit mit Cyril Davies. Der britische Blues steckte in den Kinderschuhen und die molekulare Beschreibung der ersten Gehversuche und Fantastereien von Davies bereiten selbst beim Lesen Gänsehaut. Es ist wohl ausreichend, hier einige Namen zu nennen: Alexis Korner, Long John Baldry, Paul Jones, Zoot Money, Mick Jagger und Keith Richards »war damals noch sehr schüchtern und musste überredet werden, auf die Bühne zu gehen.« Es war eine bewegte und bewegende Zeit.
Gesundheitlich war Nicky Hopkins nie ganz auf der Höhe.
Ab Mai 1963 befand er sich ganze neunzehn Monate im Krankenhaus. Anlass war ein Organriss, den er sich durch einen häuslichen Sturz zuzog. Nach genaueren Untersuchungen diagnostizierten die Ärzte Morbus Crohn. Innerhalb der Familie hatte besonders Nickys Mutter Freda Zweifel an der Diagnose. Das Ehlers-Danlos-Syndrom war auch möglich. Fest steht jedenfalls, dass Hopkins sein Leben lang gesundheitliche Probleme hatte. Jimmy Page berichtet, dass ihm Nicky im Krankenhaus erzählte, er würde sich in seiner Fantasie vorstellen, Piano zu spielen. Im Schwesternheim des Krankenhauses gab es ein Klavier, allerdings durfte er dort wegen des Besuchsverbots für Männer nicht spielen.
Von 1965 bis 1968 lebte er weiterhin bei seinen Eltern und seine Mutter sorgte dafür, dass ihr Sohn alle Termine auf die Reihe bekam. Die Arbeitstage in den Studios dauerten manchmal dreizehn Stunden und der Pianist konnte seinen Ruf als klasse Sessionman weiter ausbauen und persönlich bezeichnete er die Zeit zwischen Ende 1967 und Ende 1968 als »Fließband.« Und: »Die Hälfte der Zeit wusste ich nicht mal, für wen ich arbeitete.«
Nicky Hopkins avancierte zu Ray Davies' sowie Pete Townshends Lieblingspianist und blieb dies für mehrere Jahre. Die Zusammenarbeit mit den Kinks und The Who wird von Dawson sehr lebhaft beschrieben. Das komplette erste Album von The Who spielte er mit ein, wird aber nur bei "The Ox" als weiterer Komponist genannt. Die Unerbittlichkeit des Musikgeschäfts stellte sich sehr häufig als Fußangel für Hopkins heraus. Er hatte sehr großen Anteil am Gelingen vieler Alben und Singles bekannter Bands, wurde aber fast nie auf Plattencovern erwähnt. Oft noch nicht einmal als Musiker. Der Tastenmann bezeichnete The Who als seine »Lieblingskunden.« Ray Davies meint, dass der Song "Session Man" »halb für Nicky geschrieben wurde.«
Im Kapitel "Blues de Luxe" ist die Arbeit mit der Jeff Beck Group geschildert. Auch diese Aktivitäten werden sehr genau dargestellt. Beck war einer der ganz wenigen Musiker, die keinen Beitrag zum Buch leisten wollten. Hinlänglich bekannt ist Nickys Auftritt mit Jefferson Airplane beim legendären Woodstock Festival. Dann beschreibt Dawson auf fast fünfzig Seiten Hopkins einflussreiche Zeit mit den Rolling Stones. Sagenhaft, was der Schriftsteller da alles ans Tageslicht befördert hat. Offen gesagt, ist so manche Situation unglaublich und en détail wird das Geschehen um Exile On Main Street beschrieben. Mick Taylor resümiert: »Das Ganze war das reinste Chaos.« Nicky Hopkins tourte auch mit den Stones und da liest man den Hammer schlechthin: »Auf die Frage, welche Erinnerungen die Stones an ihren Pianisten auf jener Tour haben, konnte sich Keith Richards nicht daran erinnern, dass Nicky überhaupt dabei war.«
Neben den Stones gab es auch noch Aufnahmen mit den Yardbirds und Beatles. Zu den 'Fab Four' und Hopkins kann man unter 'Revolution' nachlesen. Dawson zeigt sich als guter Rezensent von Platten. Wenn er Alben oder Songs beschreibt, dann sehr genau. Bei John Lennons Soloaktivitäten (nicht nur auf "Imagine") hat die Beschreibung der Rolle von Yoko Ono schon etwas Spezielles.
Hopkins hatte mittlerweile auch in den Staaten einen Wohnsitz und so kam nicht nur die Band Quicksilver Messenger Service auf Nickys Plan, sondern Zug um Zug auch Drogen in verschiedenster Art. John Cipollina fühlte er sich sehr verbunden. Es muss schon eine (w)irre Zeit gewesen sein, wenn man Dawsons Ausführungen dazu liest.
In einem weiteren Kapitel wird verdeutlicht, dass die Solokarriere des Londoners eher durchwachsen verlief, auch wenn seine Alben das eine oder andere Highlight enthielten.
Drogen, Drogen und nochmals Drogen. Hopkins geriet in einen wahren Sumpf und drohte darin unterzugehen. Die Rolle seiner ersten Frau Dolly war sehr dominant und bei ihrem Einfluss auf Hopkins kommt sie bei keinem Musiker oder anderen Leuten gut weg. Auch der Weg aus der Drogenabhängigkeit wird beschrieben und weitere großartige musikalische Stationen im Leben des Nicky Hopkins werden angesprochen.
Bevor es zu einem Fazit kommt, sollten meines Erachtens wenigstens an dieser Stelle einige noch nicht genannte Bands/Künstler erwähnt werden, mit denen er zusammen gespielt hat: David Bowie, Donovan, Steve Miller, Cat Stevens, Chris Farlowe, Easybeats, McGuiness Flint, Badfinger, George Harrison, Ringo Starr, The Pretty Things, Joe Cocker, Art Garfunkel, Bill Wyman, Eddie Money, Graham Parker & The Rumour, Gary Moore, Albert Lee, Joe Satriani, Izzy Stradlin, Faster Pussycat, John Kay.
Man kann es drehen und wenden, wie man will... Dawsons Biografie ist in jeder Hinsicht fundiert und beschreibt nicht nur den Musiker sondern auch den Menschen Hopkins. Wenn in dieser Rezension nicht auf alle Stationen der Karriere eingegangen werden konnte, haben sich die zehn Jahre Arbeit, die Julian Dawson in dieses wichtige Buch investiert hat, gelohnt. Aus meiner Sicht ist diese Biografie einzigartig. Hier wird Musikgeschichte geschrieben. Ein weiteres Buch über den Pianisten wäre überflüssig. Aus einer höchst interessanten Lektüre wird eine dicke Empfehlung.
Inhalt |
Vorwort von Klaus Voorman
Einleitung
Baby's House (Nickys Kindheit)
Flip Flop & Bpo Till You Drop (Savage, Rebel Rousr, All Star)
Wing And A Prayer (Im Krankenhaus)
All Day (Die Londoner Jahre Teil I)
And All Of The Night (Die Londoner Jahre Teil II)
Session Man (The Who & The Kinks)
Blues de Luxe (The Jeff Beck Group)
Their Satanic Majesties Request (Die Rolling Stones Teil I)
No Expectations (Die Rolling Stones Teil II)
Revolution (Die Beatles)
Brave New World (Mill Valley und darüber hinaus)
Revolutionary Piano (Die Hopkins-Soloalben)
Where Am I Now (Verloren im Niemandsland Teil I)
Gimme Shelter (Verloren im Niemandsland Teil II)
Your Saving Grace (Genesung)
The Up Escalator (Die späten Jahre)
Long Journey Home (Der Weg nach Nashville)
Diamond Tiaras (Der Stil des Nicky Hopkins)
Nachwort von Wolfgang Niedecken
Dank
Bibliografie
Diskografie
Namensregister
Bildnachweis
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